Barmherzigkeit hat in der Kunst Hochkonjunktur
Das "Jahr der Barmherzigkeit" bewegt als Generalthema auch Kunst und Kultur: So verweist der Wiener Künstlerseelsorger Gustav Schörghofer im Interview mit "Kathpress" darauf, dass das Sich-Berühren-Lassen von der Not anderer eines der großen Themen der Kunst im 20. Jahrhundert gewesen sei. Sie habe besonders große Aufmerksamkeit gegenüber jenen Menschen entwickelt, die übersehen werden, so Schörghofer. Rund um das Themenfeld "Barmherzigkeit" hätten Künstler neue Bilder entwickelt, obwohl die alte biblische Bildwelt ausgedient habe und in der Kunst heute keine Rolle mehr spiele. "Der Heilige Geist wirkt auch in der zeitgenössischen Kunst, nicht nur über die kirchliche Institution", so der Jesuit.
Akte der Barmherzigkeit würden in der Kunst bereits gegenüber Dingen sichtbar, weshalb Werke aus verbrauchten Gegenständen Hochkonjunktur hätten. "Müll bekommt somit eine besondere Würde", deutet dies der Ordensmann. Erst recht gelte dies für die künstlerische Wahrnehmung von Menschen am Rand und in Notlagen: Beispiele dafür seien Josef Koudelkas Serie über Roma, die zu den bedeutendsten Fotobüchern überhaupt zählten, US-Starfotograf Richard Avedons Blick auf Bewohner im Westen der USA am Rande der Gesellschaft, oder auch der deklariert religiöse Maler Georges Rouous, der beeindruckende Bilder von Dirnen und von Clowns geschaffen habe.
Als heimische Künstler der Gegenwart nannte Schörghofer in dieser Reihe u.a. die Otto-Mauer-Preisträgerin 2015, Catrin Bolt, die auf subtile Weise im öffentlichen Raum - etwa durch Lauftexte auf der Straße - auf das Thema der verfolgten Juden im Nationalsozialismus aufmerksam gemacht habe. Auffallend sei dasselbe Hinwenden des Blickes auf den Rand auch in Dokumentarfilmen, wie etwa in Michael Glawoggers Werken über die Gefährdung der Welt durch das aktuelle Wirtschaften und den Konsumismus.
Das Thema der Barmherzigkeit - nach der biblischen Vorlage des Mannes, der unter die Räuber fiel und ausgeplündert halbtot am Boden lag, während ein anderer vorbei kam und sich von der Not berühren ließ - werde hier aufgegriffen und umgesetzt, so der Kunstexperte. Nachsatz: "Dennoch wird man im 20. Jahrhundert kaum Darstellungen des Barmherzigen Samariters finden." Die alte Bildwelt scheine ihre Kraft verloren zu haben, und neue Bilder würden geschaffen. "Ständiges Wiederholen und Illustrieren der Bibel ist nicht mehr das, was die Künstler beschäftigt."
Kunst ein "Weltverbesserer"
Durchaus sei das biblische Anliegen mittlerweile "in das allgemeine Bewusstsein hineingewandert", regte Schörghofer eine positive Sichtweise an: "Der Barmherzige Samariter wird nun nicht dargestellt, sondern vollzogen: Man verhält sich wie er. Das ist erstaunlich." Kunst komme hier einer wesentlichen Aufgabe nach, die Welt zu verbessern - nicht im politischen oder sozialen Sinn, sondern durch ein Verfeinern des Bewusstseins und das Eröffnen einer Möglichkeit, sich anders zu verhalten.
Als bedenklich bezeichnete der Jesuit hingegen den Verlust der bis ins frühe 19. Jahrhundert bestehenden "gemeinsamen Kultur" zwischen Kirche und Kunst. Wolle sie den Dialog erneut aufnehmen, müsse die Kirche wieder mehr Interesse für Kunst entwickeln, sich selbst "in diese fremde Welt begeben" und bei Aufträgen damit rechnen, "dass nicht das kommt, was man als kirchliche Kunst gewohnt ist". Offenheit, Sensibilität und Bereitschaft dafür von Seiten der Kunst gebe es allenfalls: "Die meisten Künstler haben spirituelle Tiefe", so Schörghofers Erfahrung.
Quelle: kathpress