Fremde beherbergen
Sie sind zwischen 14 und 18 Jahre alt und haben trotz ihres jungen Alters schon Gewalterfahrungen und Verfolgung hinter sich: die Asylwerber im Don-Bosco-Flüchtlingsheim "Abraham" in Wien-Inzersdorf. Ein Lokalaugenschein.
Schüchtern sitzt er da, den Blick gesenkt. Er spricht langsam, häufig ringt er um Worte. Nurullah ist 17, vor sieben Monaten ist er aus Afghanistan nach Österreich geflohen. Über die Umstände seiner Flucht will er nicht sprechen. Lieber spricht er über seine Zukunft. Die sieht er einzig in Österreich, ein anderes Zuhause hat er nicht mehr. "Ich bin sehr gerne hier. Als Erstes mache ich nun meinen Hauptschulabschluss, dann möchte ich eine Mechanikerlehre machen", sagt er.
Nurullah ist einer von 15 "unbegleiteten jugendlichen Asylwerbern" - so der offizielle Titel - aus Afghanistan, Somalia, Algerien, Gambia, Guinea und dem Irak, die derzeit im Jugendwohnheim "Abraham" des Don Bosco Flüchtlingswerks untergebracht sind. Seit mittlerweile fünf Jahren nimmt die Einrichtung am südlichen Rand von Wien Jugendliche aus dem Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen auf und versucht ihnen zu bieten, was viele von ihnen mit ihrer Flucht eingebüßt haben: Heimat. 110 Jugendliche aus 21 Ländern haben so bisher ein zeitlich befristetes neues Zuhause bekommen. Österreichweit stehen derzeit rund 170 solcher Plätze in Wohnheimen von Caritas, Diakonie, Volkshilfe, dem Verein SOS-Menschenrechte, dem Verein Zeitraum sowie dem Don Bosco Flüchtlingswerk zur Verfügung - der Bedarf wäre freilich höher.
Klischees an der Tür abgeben
"Bei uns lernen die Jugendlichen von Beginn an, auf eigenen Beinen zu stehen, sich selbst zu organisieren, aber auch, sich zu integrieren", erklärt Margit Pollheimer, Geschäftsführerin des Don Bosco Flüchtlingswerks. Wer das in einer alten Volksschule untergebrachte Wohnheim in Wien-Inzersdorf besucht, muss die Klischees an der Tür abgeben: Müßiggang, Drogen, Gewalt unter Asylwerbern? Fehlanzeige.
"Der Tagesablauf ist recht streng. Morgens Schule oder Sprachkurse, mittags Kochen, nachmittags Lerngruppen, abends meistens Sport", erläutert Pollheimer. Derzeit packen die Burschen kräftig bei der Renovierung ihrer drei Wohneinheiten mit an. Untergebracht sind die Burschen in Dreier- und Vierer-Wohngemeinschaften mit eigener kleiner Küche und Bad. Einkaufen, Kochen, Putzen - alles liegt in ihrer Verantwortung.
Begleitet werden sie dabei von einem fünfköpfigen Team von Sozialpädagogen, die rund um die Uhr für sie da sind, gemeinsame Ausflüge organisieren und sich um die laufenden Asylverfahren kümmern. "Es ist toll, was die Don Boscos für uns tun", bringt es der 16-jährige Monir - ebenfalls ein Afghane - auf den Punkt. Er ist bereits seit elf Monaten in Österreich, hat die ersten Monate in Traiskirchen verbracht. Mittlerweile spricht er fließend Deutsch. Auch er will in Österreich bleiben - wo soll er auch hin? Mit seiner Familie hat er seit seiner Flucht keinen Kontakt.
Asyl & Migration: Licht und Schatten
Die Chancen, dass es für die Burschen eine Zukunft in Österreich geben wird, stehen gut. Vermutlich werden sie aufgrund der politischen Situation in Afghanistan den Status von "subsidiär Schutzberechtigten" erhalten und somit eine Aufenthaltsgenehmigung als Flüchtlinge bekommen, die es ihnen auch ermöglicht, einer regulären Arbeit oder zunächst einmal einer Ausbildung nachzugehen.
Das Klima im Blick auf Asylwerber und Migranten werde zwar zunehmend rauer, immer wieder gebe es aber Lichtblicke wie etwa zuletzt beim Projekt "72 Stunden ohne Kompromiss" der Katholischen Jugend. "Alle haben mit angepackt, den Garten saniert und ein Hochbeet gebaut." Dennoch blickt Margit Pollheimer sorgenvoll in die Zukunft, denn der Tagsatz, den das Wohnheim vom "Fonds Soziales Wien" für die Betreuung der Jugendlichen erhält, ist nicht indexangepasst. "Trotz steigender Lebensmittel- und Lohnpreise erhalten wir seit fünf Jahren die gleiche Summe." Dadurch sei das Jugendwohnheim mittlerweile "in seiner Existenz stark gefährdet und wir wissen nicht, ob wir auch noch einen sechsten Geburtstag feiern können."
Dringend gesucht werden daher Spender oder Sponsoren. Ansonsten droht Monir, Nurullah und den anderen die Delogierung, im schlimmsten Fall die Rückkehr nach Traiskirchen. Das jedoch, so Pollheimer, würde einen schweren Rückschlag für die Integration und einen schweren Schlag für die von Flucht und Gewalt gezeichneten Seelen der Burschen bedeuten.
Quelle: "Stadt Gottes" (2009) | Autor: Henning Klingen