Kranke pflegen
Das Wiener "Amber-Med"-Zentrum von Rotem Kreuz und Diakonie kümmert sich um die Gesundheit all jener, die weder über eine "E-Card" noch über das notwendige Kleingeld für teure medizinische Behandlungen verfügen. Und davon gibt es täglich mehr Menschen
"Keine Sorge, das sieht mir nach einer leichten Bronchitis aus". Tief blickt Dr. Wolfgang Waldschütz der Patientin mit einer kleinen Lampe in den Rachen und nickt zufrieden: "Das kriegen wir in den Griff" sagt er und verschreibt der hüstelnden Vietnamesin ein Medikament aus der "Hausapotheke", dem Medikamenten-Depot des Roten Kreuzes. Ort dieser Szene: das "Amber-Med"-Zentrum von Rotem Kreuz und Diakonie in Wien-Inzersdorf. Seit seiner Gründung vor fünf Jahren ist das Zentrum, untergebracht im Rot-Kreuz-Katastrophenhilfezentrum am äußersten Rand von Wien, zu einer Anlaufstelle für all jene geworden, die durch das Netz der öffentlichen Gesundheitsversorgung hindurchfallen. Auch ohne "E-Card" erhalten diese Menschen hier professionelle medizinische Hilfe – von der Behandlung akuter Symptomatiken über psychologische Betreuung bis hin zur Therapie chronischer Leiden.
"Unsere Patienten sind vorwiegend Migranten und Asylwerber, es gibt aber auch unter den Österreichern noch immer eine große Zahl von Menschen, die nicht krankenversichert sind und eine große Scheu vor den etablierten Ordinationen haben", erklärt die Leiterin des Amber-Med-Zentrums, Carina Spak. Gemeinsam mit einer weiteren hauptamtlichen Kraft, einem Zivildiener und einem Team aus ehrenamtlichen Dolmetschern und Ärzten leitet sie seit diesem Frühjahr das Zentrum. Zehn Allgemeinmediziner, drei Kinderärzte, zwei Gynäkologen und ein Neurologe stellen derzeit ihre Dienste kostenlos und ehrenamtlich zur Verfügung.
"Listen to me..."
Rund 20 Patienten haben sich heute im nüchternen Warteraum eingefunden, um auf die Behandlung bei Dr. Waldschütz zu warten. Man hört viele unterschiedliche Sprachen durcheinander, vereinzelt vernimmt man Begriffe wie "Asyl" oder "AMS". Handys klingeln, Kinder spielen am Boden. Plötzlich Aufruhr vor dem Schreibtisch von Zivildiener Fabian Weiß. "Listen to me…", sagt dieser laut und bestimmt und stellt die durcheinander geratene Reihenfolge im Warteraum wieder her. "Selbst wenn wir unseren Dienst kostenlos anbieten, so müssen wir doch Grundregeln der Anamnese einhalten – und dafür brauchen wir eine vertrauliche Atmosphäre", erklärt Spak. So soll etwa ein Medikamentenmissbrauch oder eine falsche Behandlung von chronisch kranken Menschen verhindert werden.
Rund 1.000 Patienten behandelt das Zentrum pro Jahr - Tendenz steigend. Dabei variiert die Herkunft der Patienten und ihre jeweiligen Krankheitsbilder mit der Konjunkturkurve politischer Konflikte: Kamen vor wenigen Jahren die meisten Patienten noch aus dem Irak, aus Palästina oder dem arabischen Raum, so hat sich die Klientel mittlerweile zu Tschetschenen, Chinesen und innereuropäisch zu Rumänen, Bulgaren und Serben hin verschoben, erläutert Spak. Während die Gruppe der tschetschenischen Patienten kriegsbedingt oftmals unter posttraumatischen und psychischen Symptomen leidet, kommen viele Chinesen mit Gelenks- und Rückenproblemen, die auf ungesunde Arbeitshaltungen etwa als Spül- oder Putzkraft schließen lassen.
Helfende Hände willkommen
"Prinzipiell kann Amber alles, was eine allgemeinmedizinische Praxis kann – vom Röntgen bis zum Blutlabor". Aber die ambitionierte Leiterin will mehr. In den kommenden Monaten sollen etwa die Ordinationszeiten ausgeweitet und ein zweiter Behandlungsraum in Betrieb genommen werden. Verbessert werden soll auch die Vernetzung mit anderen Hilfsangeboten wie etwa den Sozialberatungsstellen. "Natürlich können wir jede helfende Hand brauchen. Wer immer sich als Arzt – pensioniert oder noch berufstätig – bei uns engagieren will und die Herausforderung des Heilens abseits der Rundumversorgung annehmen möchte, ist herzlich willkommen", appelliert Spak.
Trotz kontinuierlich gestiegener Nachfrage sind Angebote wie jene des Amber-Med derzeit noch rar. Neben dem Wiener "Luisebus" der Caritas und den kostenfreien medizinischen Angeboten im Spital der "Barmherzigen Brüder" und dem "Neunerhaus" in Wien gibt es bislang allein die Grazer "Marienambulanz". Noch grobmaschiger wird das Netz in ländlichen Regionen. "Es ist einfach ein Skandal, dass es in Österreich Menschen gibt, die keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung haben". Gegen diesen Skandal anzugehen, ist der zentrale Antrieb von Carina Spak – und jener ihrer ehrenamtlich engagierten Ärzte.
Quelle: "Stadt Gottes" (2009) | Autor: Henning Klingen